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Vom Glück, sich mit allen Sinnen zuhause zu fühlen

Hier fühle ich mich zuhause! Ist es nicht wunderbar, wenn man das mit Entschiedenheit sagen kann, so aus dem Bauch heraus, weil man es einfach spürt (und manchmal gar nicht erklären kann)? Einem anderen Menschen mag es da durchaus anders gehen, nicht jeder fühlt sich an denselben Orten daheim. 

Begeben wir uns doch auf die Suche nach den Bestandteilen dieses „Zuhause-Gefühls“ – vielleicht ist es ja ruckzuck herzustellen, wie ein Wellness-Drink etwa. Denn dass so ein Wohlgefühl der Gesundheit förderlich ist (und damit sogar lebensverlängernd wirkt), bestätigen Studien ja immer wieder: Wer eine Stätte hat, an der er zur Ruhe kommen und bei sich sein kann, hat weniger mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu kämpfen oder mit Depressionen. Er ist besser gerüstet für die Welt jenseits seiner vier Wände, die uns heute so viel abverlangt.

Das „Zuhause-Gefühl“ ist, wie gesagt, erstmal eine ziemlich individuelle Angelegenheit. Die Architekturprofessorin Clare Cooper Marcus aus Kalifornien, die sich sehr mit dem heilenden Effekt einer Umgebung auf den Menschen beschäftigt, hat vor einigen Jahren ein außergewöhnliches Experiment gewagt: Sie bat die Bewohner und ihre jeweiligen Wohnstätten sozusagen gemeinsam auf die Couch. In „Gesprächen“ mit ihren Häusern fanden die Menschen heraus, was sie dort zuhause fühlen ließ und was nicht

"Auch unser Heim verlangt nach Fürsorge.

Um es zu einem Ort der Zuflucht werden zu lassen, müssen wir es schön gestalten."

Das Ergebnis dieser Sitzungen, kurzgefasst: Auch unser Heim verlangt nach Fürsorge. Um es zu einem Ort der Zuflucht werden zu lassen, müssen wir es schön gestalten. Dabei hat großen Einfluss, was uns in der Kindheit Geborgenheit vermittelte: Ein bestimmter Lichteinfall am Morgen durch die Vorhänge, der auf einen verheißungsvollen Tag hindeutete. Der untrügliche Geruch oder das Geräusch von Holzmöbeln und -fußböden, der Beständigkeit vermittelte. Das Rot des Teppichläufers im Flur, das da signalisierte: Willkommen. Das bedeutet: Es ist also weniger ein bestimmter Einrichtungsstil, sondern es sind Sinneserfahrungen, die uns prägen.

 

Universell hingegen ist, was wir Menschen von einem „Zuhause“ erwarten. Sechs Grundbedürfnisse haben Psychologen ausgemacht: Sicherheit und Schutz soll es bieten, Erholung und Rückzug, aber auch Raum für Geselligkeit und Kommunikation (derzeit zeigt sich dieses Bedürfnis eindrucksvoll in der Variationsbreite von Esstischen mit Sitzbänken und schwingenden Stühlen für lange Abende).

Außerdem wollen wir in unserem Heim unsere Kreativität ausleben können, uns an Ästhetik erfreuen und uns selbst darstellen. Zeige mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist? Nicht nur: Unser Zuhause zeigt auch, wer wir im Idealfall gerne wären. Wir finden großes Vergnügen darin, in unserem Heim eine ideale Version unseres Selbst zu entwerfen.

Einen Menschen zum Beispiel, der in seiner offenen Küche mit Weißtanne-Abdeckung auf der mit Marmor belegten Kochinsel die leckersten Gerichte fabriziert und obendrein noch Heerscharen von Gästen mit dem Inhalt seines Weinkühlschranks beeindruckt – obwohl ihm sein Job solche Abende kaum erlaubt. Aber ist es deshalb verkehrt, seine Wohnung nach seinen Träumen auszurichten? So bleiben Sehnsüchte lebendig und erinnern uns an unsere Potentiale – und an die Person, die wir eines Tages sogar werden können.

 

"Nur wenn man sich mit seiner Wohnung weiterentwickelt, belebt man sie wirklich."

Womit wir bei einem entscheidenden Punkt wären: „Nur wenn man sich mit seiner Wohnung weiterentwickelt, belebt man sie wirklich“, sagt die britische Designerin und Innenarchitektin Ilse Crawford, die auch die Meinung vertritt, ein perfektes Zuhause gebe es nicht, ja, sei sogar kontraproduktiv. Perfektion signalisiere Stillstand, Erstarrung. Crawford: „Wohnen ist kein Zustand, es ist eine Aktivität.“ Wohnen ist demnach Leben.

Crawfords Erkenntnis hat erstmal etwas sehr Sympathisches. Sie hilft einem, die Nachlässigkeiten im eigenen Heim wohlwollender zu betrachten, all die stehengelassenen Kaffeetassen, vergessenen Spielzeugautos, Krümel und Fingertapsen auf den Oberflächen, die bei Tageslicht so schön hervortreten. Das Leben hinterlässt eben Spuren! Aber bevor wir uns nun auf unserer abgeliebten Couch zurücklehnen, die Füße auf den ollen Couchtisch legen und uns wie jeden Abend mit der funzeligen Beleuchtung arrangieren: Wenn wir unsere Wohnung länger im Ist-Zustand lassen, werden wir irgendwann in der Vergangenheit leben.

Unser Zuhause sollte etwas Organisches sein, das sich unseren Lebensphasen und Lebensplänen gemäß entfaltet und erneuert (auch die Autorin dieses Textes neigt übrigens dazu, Erneuerungen aufzuschieben. Sie stöhnt lange herum: Diese Mühe, die da auf einen zukommt! Hat sie sich dann aber endlich einen Ruck gegeben, stellt sie immer wieder fest, dass sie zu lange im falschen Einrichtungsstil gelebt hat – wie in einer Jeans, die ihr über die Zeit zwar gemütlich geworden ist, sie aber auch nachlässig und träge aussehen lässt).

Wie wir wohnen, bestimmt unser Sein. „Wir formen unsere Gebäude, danach formen sie uns“, soll der Premierminister Winston Churchill einmal gesagt haben. Außerhalb unserer vier Wände haben wir keine Wahl: Im Büro lassen die Neondeckenlampen unsere Augen schmerzen, auf der Straße dröhnt die Betriebsamkeit in unseren Ohren und in der U-Bahn schwitzen wir auf Kunststoffsitzen. Hier müssen wir verdrängen, was an den Nerven zerrt. Aber in unseren vier Wänden können wir selbst bestimmen! Ruckzuck finden wir natürlich nicht heraus, was unsere Sinne positiv anspricht, was uns guttut.

Der Mensch ist ein zutiefst sinnliches Wesen: Unsere Fingerkuppen können Erhebungen von 0,006 Millimetern erspüren, unser Auge etwa 200 Farbtöne unterscheiden, rechnet man die unterscheidbaren Helligkeiten pro Farbton dazu, sind es 20 Millionen Farbnuancen. Nehmen wir uns also Zeit, herauszufinden, was uns anspricht. Sortieren wir neu, tauschen wir aus.

Und seien wir anspruchsvoll: Qualität kann man fühlen und riechen. Möbel mit Modulcharakter können individuell gestaltet und wieder umgestaltet werden, sie passen sich unserem Leben an. Raffinierte Technik bietet neue Perspektiven. Die Voraussetzungen sind also da, unserer Seele den Raum zu geben, den sie braucht, um sich zu entfalten. Der deutsche Schriftsteller Jean Paul wusste schon im 18. Jahrhundert: „Wie sich der ganze Wirrwarr der Gefühle verlieret und ordnet, wenn man aus dem Fremden heimkehrt in seine eigenen vier Wände! Nur zu Hause ist der Mensch ganz.“ Machen wir unsere Wohnung zu einem magischen Ort!

"Machen wir unsere Wohnung

zu einem magischen Ort!"

Bettina Wündrich | Autorin und Redakteurin

Die Journalistin und Diplom-Soziologin, war bis 2018 Chefredakteurin von "zuhause wohnen". Davor leitete sie das Psychologie-magazin "emotion" sowie Lifestyle-Magazine ("Glamour", "Vogue Business"). Sie ist Autorin eines Sachbuchs ("Einsame Spitze? Warum berufstätige Frauen glücklicher sind") und eines Romans ("Hochglanz", beide Bücher sind bei Rowohlt erschienen). Derzeit arbeitet sie in Hamburg als Autorin und Publizistin. 

Text: Bettina Wündrich, Foto: Kai Uwe Grundlach